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Im Frühtau zu Mülheim

Ein Interview mit Jörg Juretzka

 

Wenn Sie unsere Seiten regelmäßig besuchen, dann sind Sie wahrscheinlich mit seiner Schreibe schon vertraut - Jörg Juretzka und seine Romane um den Ruhrpott-Detektiv Kristof Kryszinski. Mit Fallera ist vor kurzem der vierte Titel in der Reihe erschienen. Wer immer dachte, das Ruhrgebiet sei eigentlich das einzige Biotop, in dem ein Kristof Krzyszinski überleben kann, wird sich eines besseren belehren lassen müssen. Denn Jörg Juretzka schickt seinen Helden auf Reisen. In die Alpen.
      Nun ist Kryszinski nicht unter die wadenmuskelgestählten Wandersleut' gegangen, sondern er fröhnt in der frischen Bergluft der gleichen Tätigkeit, der er sich in Mülheim und umzu verschrieben hat: dem Ermitteln. Undercover diesmal und mit einem merkwürdigen Auftraggeber. Und so kommt es, wie es bei Krzyszinski halt kommen muss - schon bald stapeln sich die Leichen.
      Jörg Juretzka gibt Auskunft über seinen neuen Roman und über Kristof Kryzsinski. Den Roman selbst möchten wir Ihnen in einer kleinen Besprechung näher vorstellen, der wir den Titel Fröhliches Gemetzel in Höhenlagen gegeben haben. Und wenn Sie sich selbst einen kleinen Eindruck von »Fallera« verschaffen wollen, dann führen Sie sich doch die Leseprobe zu Gemüte. Vergnügen ist garantiert!

 

Jörg Juretzka kaliber .38: Herr Juretzka, Sie werden in der Presse öfter als "Ruhrpott-Chandler" tituliert. Schmeichelt Sie die Bezeichnung oder finden Sie solche Vergleiche eher lästig?

Jörg Juretzka: Chandler ist mein erklärtes Idol. Mit ihm in einem Atemzug genannt zu werden bauchpinselt mich ohne Ende.

kaliber .38: Gibt es neben Chandler noch weitere Autoren, an denen Sie sich orientieren oder von denen Sie denken, dass sie Sie beeinflusst haben?

Jörg Juretzka: Raymond Queneau, Hunter S. Thompson, Martin Cruz Smith, Terry Pratchett und ein paar Dutzend anderer. Queneau vor allen Dingen. Ich liebe »Die Blauen Blumen« wie kaum ein anderes Buch.

kaliber .38: Soweit wir wissen, haben Sie etwa mit Mitte Dreißig mit dem Schreiben begonnen. Würden Sie uns verraten, was Sie bis dahin gemacht haben?

Jörg Juretzka: Schnell gelebt und viel gearbeitet. Wenig gepennt, wenn ich mich recht erinnere.

kaliber .38: Das "schnelle Leben" soll Sie bis in die tiefsten Wälder Kanadas katapultiert haben, wo Sie den Gerüchten zufolge Blockhütten gebaut haben. Stimmt das?

Jörg Juretzka: Ja, ich bin gelernter Log Builder. Ein Stückchen Wald, eine Kettensäge, zwei, drei Monate...

kaliber .38: Am Anfang haben Sie keine Krimis, sondern Kinderbücher geschrieben. Warum sind Sie ins Genre Kriminalliteratur gewechselt, und wie kamen Sie auf die Idee zu ihrem schrägen Privatdetektiv Kristof Kryszinski?

Der Willy ist weg Jörg Juretzka: Das stimmt so nicht ganz. Ich habe, als ich anfing, drei Erstlinge auf einmal in Angriff genommen. Ein Kinderbuch, ein Jugendbuch, einen Krimi, alle nebeneinander. Der Krimi fand als erster einen Verlag, anschliessend bin ich dabei geblieben, um mir etwas Regalraum freizuschultern.
Was Kryszinski angeht: Ich finde den garnicht so schräg. Ich find den eigentlich ganz normal.

kaliber .38: Da möchte ich nochmal nachhaken: Ist das erste Kryszinski-Buch entstanden, weil Sie einen Kriminalroman schreiben wollten, oder hatten Sie den Stoff bzw. die Figur im Kopf, und haben dann gemerkt, dass der Kriminalroman als adäquate Form für Ihr Material anbietet?

Jörg Juretzka: Ich wollte von Anfang an einen Krimi schreiben, und sei es nur, um herauszufinden, ob ich das kann. Ich hatte, und habe immer noch, grossen Respekt vor diesem Genre.

kaliber .38: Ihre Kryszinski-Romane wurden in anderer Reihenfolge veröffentlicht, als sie entstanden sind. Die Verwirrung stieg noch, als sie ihrem dritten Buch »Der Willy ist weg« ein prequel vorgelegt haben - einen Roman, der in der erzählten Zeit vor den beiden ersten Büchern spielt. Klären Sie uns doch bitte mal auf: Wie sind die Bücher entstanden und in welcher Reihenfolge liest man Sie sinnvollerweise? Warum nach zwei Bänden ein prequel?

Jörg Juretzka: Die Reihenfolge der Entstehung ist eigentlich nicht wichtig, da ich den Inhalt von »Sense« bei der Überarbeitung zeitlich hinter den zuerst erschienenen »Prickel« gepackt habe. Dass ich in »Der Willy ist weg« zurückgeblendet habe in Kryszinskis Anfänge, hängt damit zusammen, dass ich möglichst rasch weg wollte von der Uniformität typischer Serienkrimis.

kaliber .38: So wie Sie das Ruhrgebiet beschreiben, gibt es keine glitzernden Glasfassaden der New-Economy, sondern nur den spröden Charme der weitgehend zerschlagenen alten Industrien. Kryzsinki selbst hat etwas angenehm Unzeitgemäßes, als wäre er mit den 80er Jahren und ihrer Yuppie-Kultur aus der Zeit ausgestiegen. Er hat kein Handy und benutzt im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen keinen Computer. Taugt eine Figur wie Kryszinski nicht für die moderne globalisierte Welt?

Jörg Juretzka: Das Handy ist, wenn man nur eine Sekunde darüber nachdenkt, der Fluch des gesamten Spannungsgenres. Und nur weil Kryszinski zu hibbelig ist, sich mit einem PC auseinanderzusetzen, heisst ja nicht, dass er sich dieser Technik nicht bedient. Mit sowas beschäftigen wir dann die Sidekicks.

kaliber .38: Ihr neuer Roman hat den Titel »Fallera«. Ich gebe zu: Es hat bei mir eine Weile gedauert bis mir das Volkslied "Im Frühtau zu Berge wir zieh'n, fallera" in den Sinn gekommen ist. Die Anspielungen sind natürlich brilliant: "Wir wandern ohne Sorgen / singend in den Morgen" heißt es in dem Lied, oder auch "Wir sind hinausgegangen / den Sonnenschein zu fangen / kommt mit uns / versucht es doch auch einmal". Zufall oder haben Sie dieses Kleinod Deutscher Volksdichtung bewusst als Subtext in den Roman eingearbeitet?

Jörg Juretzka: Nur in den Titel. Und ich mag es halt, wenn es ein bisschen dauert, bis es 'Klick' macht.

Fallera kaliber .38: »Fallera« unterscheidet sich grundsätzlich von den drei früheren Kryszinski-Romanen: Bisher waren Ihre Bücher als actionreiche "Höllenritte durch's Ruhrgebiet" angelegt. Jetzt zieht es Kristof von Mülheim, der "Perle des Ruhrgebiets", in die Schweizer Alpen. Wieso haben Sie Ihren Detektiv aus seiner vertrauten Umgebung geholt?

Jörg Juretzka: Was ich verhindern möchte, ist eine Krimiserie, in der man ab einem bestimmten Punkt den einen Roman nicht mehr vom anderen unterscheiden kann. Deshalb hole ich Kryszinski nun raus aus dem Ruhrpott, gleichwohl wissend, dass man den Ruhrpott nicht aus Kryszinski herauskriegt.

kaliber .38: Längere Passagen Ihres neuen Buches spielen in einer alten Goldmine. Von einem Goldrausch, oder besser: Goldräuschchen in den Schweizer Alpen hatte ich noch nie gehört. Gab es so etwas oder ist das reine literarische Fiktion?

Jörg Juretzka: Den Goldrausch habe ich mir ausgedacht, erfuhr jedoch während des Schreibens durch Zufall, dass es so etwas Ähnliches tatsächlich in der Schweiz mal gegeben hat. Da kann man mal sehen. Ich gruppiere meine Geschichten um das, was ich kenne, und den Rest erfinde ich dazu.

kaliber .38: Womit haben wir in kommenden Romanen zu rechnen - Kristof vielleicht undercover als Anti-Taliban-Kämpfer in den unwirtlichen Bergen Afghanistans? Vielleicht bei Drogenbaronen in Kolumbien? Der Tee-Mafia in Ostfriesland?

Jörg Juretzka: Mit den Bergen und diesem Scheiss-Gekraxel sind wir erstmal fertig. Ostfriesland ist deshalb, zumindest geographisch, garnicht mal so schlecht geraten: In »Equinox« wird Kryszinski Borddetektiv auf einem Nordmeer-Kreuzfahrtschiff.

kaliber .38: Wie schreibt Jörg Juretzka? Vielleicht fangen wir mal mit einem Blick in Ihre "Schreibwerkstatt" an. Ich kenne einige Autoren und Autorinnen, die immer noch auf die gute alte Schreibmaschine schwören. Womit schreiben Sie?

Jörg Juretzka: MEDION-PC, bei ALDI gekauft, ein treuer Freund und Kollege, hört auf den Namen 'Goofy'. Ich habe ein Arbeitszimmer, darin hocke ich von morgens früh bis nichts mehr kommt.

kaliber .38: Viele Autoren skizzieren zunächst ihre Story. Manche brauchen für den Entwurf erheblich länger als für das eigentliche Schreiben. Wie gehen Sie vor? Was haben Sie fest im Kopf, bevor Sie loslegen, und was ergibt sich aus dem Fluss?

Sense Jörg Juretzka: Ehrlich, das kommt mal so, mal so. Oft habe ich eine feste Geschichte im Kopf, doch dann erfinde ich Personen, und sobald die Charakter entwickeln, wollen die mitreden. Glauben Sie mir, es lohnt sich, da zuzuhören.

kaliber .38: In einem älteren Artikel habe ich gelesen, dass Ihr erster Kryszinski-Roman »Prickel« verfilmt werden sollte. Was ist daraus geworden? Würden Sie als Autor gerne Ihre Stoffe auf der Leinwand oder im Fernsehen sehen? Wen würden Sie selbst als Schauspieler für Ihren Helden favorisieren?

Jörg Juretzka: Ich habe kürzlich das Drehbuch zu »Prickel« fertiggestellt und mein Agent Ulrich Pöppl bietet es zur Zeit reihum an. Kino wäre natürlich schön. Und der Hauptdarsteller sollte schon aus dem Ruhrpott kommen.

kaliber .38: Mitte des letzen Jahres haben Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen Roger Fiedler »Enzi@an« veröffentlicht, einen »Kriminalroman in 54 e-mails«. Wie kam es zu dem Projekt, und was hat sie beide daran gereizt?

Jörg Juretzka: Spontane Idee, augenblicklich umgesetzt und viel gelacht dabei.

kaliber .38: Wie es mit Kryszinski weitergeht, haben Sie eben skizziert. Wie geht es mit Jörg Juretzka weiter? Welche Pläne haben Sie? Denken Sie vielleicht gar an eine Zukunft oder einzelne Projekte in der Zukunft ohne Ihren Serienhelden?

Jörg Juretzka: Zur Zeit arbeite ich, neben »Equinox«, an dem Drehbuch zu einer Krimi-Komödie um einen brandneuen Helden, Claude Honka, den härtesten Geldeinteiber der Branche. Pläne habe ich sackweise, mit und ohne Kryszinski.

kaliber .38: Zum Schluss: Welches Buch liegt gerade auf Ihrem Nachttisch?

Jörg Juretzka: Magnus Mills' »All quiet on the orient express«. Bei Magnus Mills fragt man sich die ganze Zeit, warum man das Buch eigentlich weiterliest, tut es dann doch und ist am Ende nicht schlauer. Seltsam bestrickend. Ich freu mich schon auf das nächste von ihm.

kaliber .38: Herr Juretzka, wir bedanken uns herzlich für das Interview und wünschen Ihnen für Ihren neuen Roman viel Erfolg.

Jörg Juretzka: Och, danke.

© j.c.schmidt, 2002

 

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