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Land und Stadt und Mord

Ann Granger ist eine auffallend flexible Schriftstellerin: Zunächst verfasste sie ein gutes Dutzend historischer Liebesromane, bevor sie sich der Kriminalliteratur zuwandte. Populär wurde sie mit den Kriminalromanen um Meredith Mitchell & Alan Markby, die in fünfzehn Büchern auf Verbrecherjagd gehen. Die Mitchell & Markby-Romane sind in der Provinz angesiedelte Bücher und stehen in der Tradition britischer Landhaus-Krimis. Anders funktionieren Grangers Romane um die arbeits- und zeitweilig obdachlose Schaupspielerin Fran Varady aus London. Wiederum Neuland betritt sie mit einer Reihe historischer Krimis, die im viktorianischen England spielen, und eine - vorerst - letzte Wendung nimmt ihr Schaffen, mit den den Romanen um die Polizistin Jessica Campell, in denen Ann Granger ihrem Publikim ihre erste professionelle Ermittlerfigur präsentiert.
In einem Interview mit Bianca Reineke gibt die englische Autorin Auskunft über ihre literarisches Schaffen und die Hintergründe ihrer Figuren.

Von Bianca Reineke

 

Poor Relation

Bianca Reineke: Miss Granger, Sie haben bis heute gut vierzig Liebes- und vor allem Kriminalromane veröffentlicht. War es immer ihr Traum, Schriftstellerin zu werden?

Ann Granger: Ich muss sagen, dass ich in meiner Kindheit sehr gern Tierärztin geworden wäre (was nicht passiert ist). Von klein auf habe ich Geschichten verfasst, aber ich habe es zunächst als Unterhaltung für mich selbst angesehen. Ich hätte mir damals, als Kind, niemals vorstellen können, einmal einen Beruf daraus zu machen.
      Während ich an der Universität London Französisch und Deutsch studierte, habe ich das erste Mal ernsthaft darüber nachgedacht, Schriftstellerin zu werden. Ich glaube, wenn mich ein Autor zu dieser Zeit am meisten beeinflusst hat, war es der französische Schriftsteller Balzac und an zweiter Stelle Zola.

B.R.: Haben Sie während ihrer Zeit im Diplomatischen Dienst geschrieben?

A.G.: Ich wusste, dass es nicht einfach werden würde, Schriftstellerin zu werden (war es auch nicht!) und mir war klar, dass ich mein Geld eine Zeit lang auf andere Art und Weise verdienen müsste. Nach dem Studium habe ich für die Visa-Abteilung verschiedener Botschaften und Konsulate gearbeitet. In meiner Freizeit habe ich weiter geschrieben.

B.R.: Wann haben Sie Ihren ersten Roman geschrieben?

A.G.: Um mich kurz zu fassen, einige Jahre später, nachdem ich geheiratet und zwei Kinder bekommen hatte, habe ich mein erstes Buch veröffentlicht. Es war eine historische Liebesgeschichte. Ich habe es komplett mit der Hand geschrieben und dann mit großem Aufwand mit der Schreibmaschine abgetippt. Es war harte Arbeit, aber es hat mir geholfen, starke Handgelenke zu bekommen!

B.R.: Also waren sie am Anfang Ihrer schriftstellerischen Karriere gar nicht an Kriminalliteratur interessiert?

Say it with Poison

A.G.: Ich habe zunächst weitere historische Liebesgeschichten veröffentlicht, aber da wusste ich bereits, dass ich Krimi-Schriftstellerin werden wollte. Grundsätzlich hat man bei Liebesgeschichten nur einen Plot: Man kann es auf verschiedene Wege umschreiben, aber man kommt immer zurück auf die Thematik Mann & Frau. Kriminalliteratur eröffnet dem Schriftsteller eine Welt der Möglichkeiten. Es lässt einen tiefgehende und schwierige Themen angehen. Ich war schon immer an Menschen und ihren überraschenden Lebenswendungen interessiert. Ich finde, dass viele Menschen lieber mit Fremden über ihre Erfahrungen und Probleme reden möchten. Ein Fremder urteilt nicht. Ein Fremder hört nur zu - und ich war immer eine gute Zuhörerin.

B.R.: Ich war überrascht, dass Schriftstellerinnen wie Anne Perry oder Robert Goddard ihre Bücher mit der Hand schreiben. Wie schreiben Sie? Mit der Hand oder benutzen Sie einen Computer?

A.G.: Ich schreibe inzwischen meine Bücher nicht mehr komplett mit der Hand. Oft verfasse ich einzelne Szenen handschriftlich, besonders, wenn sie schwer zu beschreiben sind. Ich habe auch keine Schreibmaschine mehr. Ich habe einen Computer, einen Apple Mac. Die meiste Zeit schreibe ich direkt am Bildschirm. Aber wenn ich fertig bin, drucke ich das ganze Werk aus, setze mich hin und bearbeite es von der ersten Seite an. Ich finde es einfacher, auf einer gedruckten Seite Fehler, Auslassungen, Handlungsprobleme usw. zu entdecken als auf dem Bildschirm.

B.R.: Ihre bisher langlebigste Reihe sind die Romane um Meredith Mitchell und Alan Markby, die in fünfzehn Büchern auf Verbrecherjagd gehen. Wie Sie selbst war Meredith Mitchell als Konsularangestellte tätig. Reflektiert die Figur Ihre eigene Arbeitserfahrung im Diplomatischen Dienst?

Asking for Trouble

A.G.: Als ich die erste Mitchell & Markby Geschichte schrieb, habe ich nicht im Traum daran gedacht, insgesamt fünfzehn Bände über dieses Detektivpärchen zu verfassen. Auch habe ich nicht damit gerechnet, dass sie so bekannt werden würden.
      Während der Arbeit am ersten Band, habe ich nur an eine Detektiv-Figur gedacht - an eine Amateurdetektivin, Meredith Mitchell. Der Grund, warum ich sie zu einer Konsularangestellten machte, war, dass ich wusste, wie es ist, lange Zeit entfernt von Heimat, Familie, und Freuden zu leben: Wenn du dann nach Hause kommst, fällt dir auf, wie viel sich verändert hat, und du weißt nicht genau, was passiert ist. Es ist ein bisschen, wie den Fernseher inmitten eines Spielfilms anzustellen. Du weißt nicht, was vorher passiert ist, aber du musst es rasch herausfinden. Die ganze Zeit geht die Handlung weiter. Genauso ergeht es Meredith, als sie im ersten Buch im Dorf Westerfield ankommt. Dennoch: Meredith ist nicht ich (oder ich bin nicht Meredith, wenn Sie es lieber wollen!).

B.R.: Sie haben Ihrer Amateur-Detektivin Meredith Mitchell schließlich doch einen Partner zur Seite gestellt, und die beiden heiraten im letzten Roman der Reihe. Was hat sie bewogen, aus Ihrer Detektiv-Figur ein Ermittler-Duo zu machen?

A.G.: Als ich den ersten Band zu schreiben begann, habe ich schnell herausgefunden, dass ich einen Polizeibeamten brauchte und erfand Alan Markby. Die zwei haben gut zusammengearbeitet und so blieben sie ein Team. Sie haben auch eine Liebesbeziehung miteinander begonnen, und das hat mir als Schriftstellerin ganz schöne Probleme verursacht. Ich konnte sie einander nicht heiraten oder zusammen ziehen lassen, denn dann hätten sie auf einer anderen Basis miteinander gearbeitet. Meredith muss ihre Unabhängigkeit behalten.

B.R.: Was hat Sie bewogen, die erfolgreiche und in der Leserschaft beliebte Mitchell&Markby-Reihe zu beenden?

A.G.: Ich glaube, es gibt so etwas wie eine natürliche Lebensspanne für jede Serie. Die Mitchell & Markby-Bücher hatten diesen Punkt erreicht. Natürlich war ich traurig, ihnen Lebewohl zu sagen. Auch meine Leser haben mir gesagt, wie traurig sie waren.

A Rare Interest in Corpses

B.R.: Nach den Mitchell & Markby-Romanen, die etwa auch mit ihrem kleinstädtischen Schauplatz Bamford eher in der Tradition einer Agahta Christie oder einer Margery Allingham stehen, haben Sie sich eine völlig andere Heldin für Ihre nächsten Romane erfunden: Fran Varady, arbeits- und zeitweilig obdachlose Schaupspielerin aus London, die Ärger scheinbar magisch anzieht und sich fast täglich in Gefahr begibt. Was hat sie zu dieser außergewöhnlichen Figur inspiriert?

A.G.: Fran selber wurde von einer jungen Frau inspiriert, die ich vor einigen Jahren in einem Londoner Pub gesehen hatte. Beim Schreiben der Fran-Bücher wollte ich über Probleme der Stadt schreiben (im Gegensatz zu den ländlichen Problemen von Mitchell und Markby). Außerdem wollte ich über jemanden schreiben, der in einer völlig anderen Situation ist als Meredith Mitchell: Meredith hat einen tollen Job, ein Haus, ein Auto, einen netten Freund, usw. - Fran hat nichts. Sie ist völlig ungebunden. Ich wollte auch über einen jungen Menschen schreiben, der im positiven Sinne auf sich allein gestellt ist.
      Die Serie um Fran Varady umfassst sieben Bücher, und wiederum hatte ich das Gefühl, sie hätte ein natürliches Ende erreicht. Wieder war ich traurig, ihr Lebewohl zu sagen - ich mag all meine Charaktere sehr!

B.R.: Auch mit Ihrer folgenden Reihe haben Sie wieder Neuland betreten: Die Romane um Lizzie Martin & Benjamin Ross spielen in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts, also im Viktorianischen England. Haben Sie sich der Viktorianischen Ära aus einem bestimmten Grund zugewandt?

A.G.: Die Viktorianische Serie ist auch aus den Mitchell und Markby Büchern entstanden. Ich habe eine Mitchell&Markby-Band mit dem Titel »Shades of Murder« (»Mord wirft lange Schatten«) geschrieben. Die Handlung spielt auf zwei Zeitebenen - eine moderne Geschichte und eine, die im 19. Jahrhundert spielt, beide sind miteinander verknüpft.

B.R.: Wie haben Sie die besondere Atmosphäre des Viktorianischen London wieder erschaffen? Haben Sie Dickens noch einmal genau studiert?

Mud, Muck and Dead Things

A.G.: Mein britischer Verleger hat Interesse an einer historischen Kriminalgeschichte geäußert. Ich habe die Mitte des 19. Jahrhunderts gewählt, weil es eine faszinierende Epoche war: So viel passierte und die Welt änderte sich rasend schnell. Ich habe schon immer die Romane des 19. Jahrhunderts gemocht. Die Autoren dieser Zeit nehmen den Leser an die Hand und führen ihn in seine/ihre Welt (Das ist etwas, das ein Schriftsteller immer tun sollte!). Ich wollte also die Welt eben der Romane besuchen, die ich so gern gelesen hatte.

B.R.: Wird es weitere Bücher geben über Lizzie und Benjamin geben? Wird Lizzie eine alte Jungfer werden? Immerhin ist sie schon 29 Jahre alt, was in der damaligen Zeit zum Heiraten außergewöhnlich spät war...

A.G.: Im ersten Band trifft Lizzie Ben. Im zweiten Buch entwickelt sich die Beziehung. Das dritte ist gerade veröffentlicht. Es hat den Titel »A Better Quality of Murder« (»Ein Mord von bessrer Qualität«). Inzwischen sind Ben und Lizzie verheiratet. Bei Mitchell und Markby wären Probleme entstanden, wenn sie schon zu einem so frühen Zeitpunkt der Reihe geheiratet hätten. Im Fall von Ben und Lizzie ist es aber genau anders herum: Aufgrund der Restriktionen für alleinstehende Frauen zur damaligen Zeit hätte Lizzie nicht die notwendige Freiheit gehabt, um Detektivin in einer ganzen Reihe von Büchern zu sein. Ebenso dürften sie und Ben nicht viel Zeit unbeaufsichtigt miteinander verbringen. Also habe ich sie heiraten lassen!

B.R.: Sie haben gerade eine weitere neue Hauptfigur geschaffen. Was können wir von ihr erwarten? Sie ist die erste richtige Polizeibeamtin unter Ihren Heldinnen. Meredith, Fran und Lizzie unternehmen ihre Nachforschungen ja in ihrer Freizeit. Jessica Campbell aber ist Polizistin.

A.G.: Ich bin oft gefragt worden, ein weiteres "Cotswold-Buch" (die Gegend um Oxford herum, B.R.) zu schreiben: In »Mud, Muck and Dead Things« (»Stadt, Land, Mord«) geht es um eine junge weiblich Inspektorin, Jessica Campbell. Jessica übrigens taucht das erste Mal im letzten Band der Mitchell & Markby Bücher auf.

B.R.: Stehen Sie in Verbindung mit anderen Krimiautoren?

A.G.: Ich bin Mitglied der Crime Writers Society hier in Großbritannien und Mitglied der Sisters in Crime in den USA. Ich gehe zu einer Reihe von Konferenzen und Krimi-Events, daher kenne ich viele andere Krimischriftsteller.

B.R.: Wie fühlt es sich an, eine "der beliebtesten Krimi-Autorinnen des Landes" genannt zu werden? Sind Sie stolz darauf, in einem Atemzug mit Agatha Christie and Dorothy L. Sayers genannt zu werden?

A.G.: Ich sehe mich gern in der Tradition von Christie, Sayers und Ngaio Marsh. Es ist in jedem Fall - ob lebend oder tot - eine sehr ehrenvolle Gesellschaft, in der ich mich befinde.

B.R.: Vielen Dank für das Interview!

 

© Bianca Reineke, 2011.
Mitarbeit: Dr. Hendrik Müller-Reineke

 

Eine Bibliographie der Romane Ann Grangers finden Sie auf der Ann-Granger-Seite in den Autoren-Infos.

 

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