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Ein Feuerwerk von Esprit, Intellekt und Wissen

Wolfgang Burger über den »Liebhaber ohne festen Wohnsitz«

 

Mit stolzgeschwellter Brust und feuchten Fingern sitze ich vor meinem Laptop: Ich soll, ja ich darf einen Krimi meiner Wahl besprechen! Soviel Ehre ist man als unbekannter Krimi-Autor nicht gewohnt. Und jetzt werde ich natürlich das tun, was deutsche Literaturkritiker so hartnäckig verweigern: Ich werde einen deutschsprachigen Krimi besprechen. Aber plötzlich habe ich ein Problem: Wenn ich das Buch einer Kollegin oder eines Kollegen verreiße, habe ich mir einen Feind fürs Leben gemacht und kann keine Nacht mehr ruhig schlafen. Und wenn ich eines lobe, habe ich mir hundert Feinde gemacht und brauche gar nicht mehr erst ins Bett zu gehen - und so mache ich nun schweren Herzens das, was ich nie tun wollte: Ich lobe einen ausländischen Krimi. Damit es nicht gar so schwer fällt, kommt er nicht aus Amerika, sondern aus Italien:

Fruttero & Lucentini: Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz

Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz Was ist ein Kriminalroman? Mindestanforderung: Es muss ein Verbrechen geschehen und aufgeklärt werden. Oder es sollte zumindest vermutet werden, dass ein Verbrechen geschehen ist oder geschehen könnte, und es sollte wenigstens versucht werden, es aufzuklären, falls es bereits geschehen ist, oder es zu verhindern, falls es noch nicht geschehen ist, oder doch wenigstens zu verstehen, warum es am Ende dann doch nicht oder erst recht... Man sieht, keine leichte Frage. Nach langem, tiefem Nachdenken habe ich mich zu folgender Deutung entschlossen: Ein Krimi ist's, wenn's der Verlag draufschreibt.

Nach dieser Interpretation gehört »Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz« des italienischen Autoren-Duos Fruttero & Lucentini, in ihrem Heimatland schlicht »die Firma« genannt, zweifellos zum Genre. Und da geht es ja auch um Crime and Sex, wie es sich gehört, und alles spielt in Venedig. Ein illegaler Kunstexport wird geplant und vollzogen, eine junge, attraktive, emanzipierte römische Prinzessin und Kunstsachverständige verliebt sich in einen uralten und ungeheuer gebildeten Juden, der ihr eine vierhundert Jahre alte venezianische Münze schenkt, die sich dann natürlich als Fälschung herausstellt, und wird immer weniger schlau aus ihrem neuen Lover. Die beiden kommen sich, wie man es als Leser erwarten darf, auch körperlich nah, und es wird ordentlich vermutet und gerätselt und ermittelt - und doch ist alles vollkommen anders.

Was Carlo Fruttero und Franco Lucentini, beide weit über siebzig und ihr Leben lang als Lektoren und Journalisten tätig gewesen, hier abbrennen, ist ein grandioses Feuerwerk von Esprit, Intellekt und Wissen, wie es nur Venedigs würdig sein kann. Da wird ganz nebenbei mal eben Portugiesisch gesprochen oder Französisch und Englisch sowieso, ohne dass man dem Leser Übersetzungen in Fußnoten zumutet. Da wird ein dreitausend Jahre altes chinesisches Gedicht zitiert und selbstverständlich in Originalsprache und -schrift wiedergegeben, hier dann zum Glück doch mit Fußnoten. Man lernt jede Menge über alte italienische Kunst, die Gepflogenheiten des modernen Kunstmarkts und die Gewohnheiten des italienischen Adels. Das alles ist so unverschämt gebildet und doch ohne jede Koketterie und glitzert so selbstironisch leicht und flirrend leise dahin, wie an manchen Tagen das Licht der Herbstsonne, wenn sie gerade eben den Nebel über dem Canale Grande durchdringt. Und am Ende interessiert man sich längst nicht mehr dafür, was denn nun eigentlich aus diesem Tizian und dem Kunstschmuggel geworden ist, und ob das Ganze wirklich ein Krimi ist.

Und der stolzgeschwellte und völlig unbekannte deutsche Autor wird zum Platzen neidisch und möchte sofort nach Venedig umsiedeln und anfangen, Philosophie und Kunstgeschichte zu studieren. Oder doch wenigstens möglichst schnell siebzig Jahre alt und so weise und witzig und gebildet werden wie »die Firma« Fruttero & Lucentini.

 

© Wolfgang Burger, 2000

Carlo Fruttero & Franco Lucentini: Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz. (L'Amante senza fissa dimora, 1986). Roman. Aus dem Italienischen von Dora Winkler. München: Piper Taschenbuch Verlag, 2004 (1. Aufl. - München: Piper, 1986), 317 S., 10.00 Euro (D)

 

Wolfgang Burger Kurzportrait Wolfgang Burger:

Wolfgang Burger stammt aus einem winzigen Dorf im Südschwarzwald, wo er 1952 geboren wurde. Er besucht das Gymnasium und studiert nach dem Wehrdienst Elektrotechnik an der Universität Karlsruhe, an der er seit 1980 als wissenschaflicher Angestellter arbeitet. Wolfgang Burger promoviert 1993 zum Dr.-Ing. und ist seit 1998 Leiter des Forschungslabors des Instituts für Maschinenkonstruktionslehre und KFZ-Bau.

Seine ersten literarischen Gehversuche unternimmt er im zarten Alter von zwölf Jahren: Er schreibt einen Kurz-Krimi, der in der Kinderzeitung »Glückspilz« erscheint, und ihm neben dem unschätzbaren Ruhm unter Gleichaltrigen das sagenhafte Honorar von fünf Mark einbringt.

Nach diesem Erfolg legt Wolfgang Burger eine langjährige Schaffenspause ein und beginnt erst wieder mit dem Krimischreiben in einem Alter, in dem "...sich andere eine Segelyacht oder einen Porsche kaufen, bzw. sich eine Freundin oder ein Haus in der Toskana zulegen - gegen das eine sprach meine finanzielle Lage, gegen das andere meine Frau...". Seit 1995 veröffentlicht er regelmäßig Kurz-Krimis und Satiren in Tageszeitungen und im Internet (z.B. Countdown). Wolfgang Burger hat bisher vier Kriminalromane mit Kommissar Thomas Petzold veröffentlicht, Mordsverkehr (1998), Marias Sohn (2000), Projekt Dark Eye (2001, Neuauflage unter dem Titel Flächenbrand) und Abgetaucht.

 

Weitere Informationen zu Wolfgang Burger finden Sie auf seiner Homepage unter
www.wolfgang-burger.de.

 

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