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Looking for Rachel Solando

Über den Roman »Shutter Island« von Dennis Lehane

 

Shutter Island Edward "Teddy" Daniels ist ein Kriegsheld. Die schauderhaften Bilder aus dem Konzentrationslager Dachau, an dessen Befreiung er beteiligt war, haben sich unauslöschlich in sein Gedächnis eingebrannt. In jungen Jahren schon haben seine "Hundeaugen" zuviel Elend, Grauen und Gewalt gesehen. Vielleicht ist er aus diesem Grund in den US-Marshal-Service eingetreten, deren erste Mitglieder 1789 von George Washington persönlich ernannt wurden.

Allein die Liebe zu seiner Frau Dolores, so Teddy, habe ihn den Schrecken des Krieges überstehen lassen. Doch als der hochdekorierte Soldat von den Schlachtfeldern heimkehrt, währt das Glück nur kurz: Teddy arbeitet und trinkt zu viel, und Dolores' Seele wird langsam zerfressen von Ängsten und Psychosen. Kurz darauf kommt sie bei einem Wohnungsbrand ums Leben. Schuldgefühle zerfleischen den Marshal, und an einsamen Abenden nuckelt er am geölten Lauf seiner Dienstpistole.

In dieser bleiernen Verfassung bekommt Marshal Daniels im September 1954 einen neuen Fall auf den Tisch: Das Ashecliffe Hospital auf Shutter Island, eine felsige Insel kurz vor Bostons Küste, ist eine Einrichtung für psychisch kranke Straftäter - Menschen, die "die Welt um jeden Preis ausschließen" will. Wie Rachel Solando etwa, die ihre drei Kinder in einem See ertränkte und anschließend die kleinen, toten Körper wieder an den Küchentisch setzte. Jetzt ist Rachel Solando verschwunden, wie von Geisterhand, denn die Zellentür war zweifelsfrei abgeschlossen. Nur eine merkwürdige handschriftliche Nachricht findet sich auf ihrem Bett, überschrieben mit "Das Gesetz der 4" und einigen kabbalistisch anmutenden Zeilen.

Während sich über dem Meer ein gewaltiger Hurrikan zusammenbraut, versucht Daniels mit seinem Kollegen Chuck Aule, dem Geheimnis der verschwundenen Patientin auf die Spur zu kommen. Die Marshals befragen Ärzte, Pfleger und Insassen, erfahren aber nichts Greifbares. Wo ist Dr. Sheehan, Rachels behandelnder Psychiater? Wer ist der ominöse Patient mit der Nummer 67? Als weitere rätselhafte Botschaften auftauchen, keimt in Teddy ein neuer Verdacht: Vielleicht ist Rachel nicht geflohen, sondern hält sich versteckt, eben um die Aufmerksamkeit der Marshals auf die unheimliche Insel zu lenken? Und was hat es mit den Gerüchten auf sich, auf Shutter Island würden psychisch kranke Menschen bestialischen Versuchen unterzogen?

Die Suche nach einer vermeitlich entflohenen Strafgefangenen wird für Teddy immer mehr zu einem Stochern in einer nebulösen Verschwörung unerhörten Ausmaßes - und zu einer Begegnung mit seiner Vergangenheit: Denn hinter den hohen Mauern der Heilanstalt sitzt auch der Mann, der ein paar Jahre zuvor das Feuer legte, in dem Teddys Frau Dolores starb.

Dennis Lehanes neuer Roman »Shutter Island« ist ein kapitales Werk um Schuld und Sühne, angesiedelt in der Grauzone von Gothic und Psychothriller. Marshal Daniels, von Migräneattacken geplagt, verliert immer mehr die Orientierung - und mit ihm der Leser. Nichts ist, wie es zu sein scheint, die Bilder schieben sich ineinander, und am fulminanten Ende ist wieder alles ganz anders. Gewiss, es gibt einen logischen Knick in der Erzählperspektive, aber der Einwand bricht zusammen unter der Wucht der Lebenswelten, die Lehane in atmosphärisch dichter Sprache vorträgt.

»Shutter Island« spielt ausschließlich auf einer winzigen, kargen Insel, und dennoch fängt Lehane den Geist der ganzen Zeit ein. Die Geschichte schnürt einem das Herz zu, und es gibt in der Kriminalliteratur wohl keinen anderen Autor, der in so beklemmenden Bildern die Liebe gegen das Böse setzen kann: "Er hörte die Tränen in ihrer Stimme und wusste, sie hatte Tränen in den Augen und auf den Wangen, und er verabscheute, wie verkommen und obszön die Welt geworden war und alles in ihr.".

Dennis Lehane ist auf dem besten Weg, sich als einer der großen amerikanischen Romanciers zu etablieren.

 

Dennis Lehane: Shutter Island. (Shtutter Island, 2003). Roman. Aus dem Amerikanischen von Andrea Fischer. Berlin: Ullstein, 2004, 365 S., 22.00 Euro (D)

 

© j.c.schmidt, 2004

 

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