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Ausbruch in Serie

Über neue Romane von Marcia Muller, Robert B. Parker und Robert Crais.

 

Dunkle Schatten Gute Serien machen Spaß: Die Figuren wachsen dem Leser ans Herz, und ein neuer Roman der Reihe ist wie ein Wiedersehen mit guten, alten Freunden. Manchmal allerdings entwickeln sich Serien auch hochgeschätzter Autoren zu einem starren Korsett, und im Prinzip zitieren sich die Romane nur noch selbst. Spannend ist es in jedem Fall, gestandenen Krimiautoren bei ihren Serien-Ausbrüchen zuzuschauen.

Marcia Muller ist bekannt für ihre Reihe um Sharon McCone, Privatdetektivin aus San Francisco, der die amerikanische Autorin seit nunmehr einem Vierteljahrhundert knapp zwei Dutzend Romane gewidmet hat. McCone-Fans kommen mit dem jüngst auf Deutsch erschienenen Roman »Dunkle Schatten« nicht ganz auf ihre Kosten, denn die Hauptfigur heißt Rhoda »Rho« Swift und ist Deputy im Sheriff's Department des imaginären nordkalifornischen Küstenkaffs Signal Port.

Signal Port hat eine dunkle Geschichte: Vor dreizehn Jahren hatte ein Unbekannter in einer Künstlerkolonie im entlegenen Cascada Canyon fünf Erwachsene und drei Kinder erschossen, das Massaker war nie aufgeklärt worden. Für diesen Misserfolg hatte man nicht zuletzt die junge und unerfahrene Polizistin Rhoda Swift verantwortlich gemacht: Rhoda, die als Erste am Tatort eingetroffen war, habe Zeugenaussagen nicht gründlich aufgenommen, den Ort des schaurigen Verbrechens nicht gesichert und Spuren verwischt. Auch für verschwundenes Beweismaterial hat man ihr die Schuld gegeben.

Die Schlappe ruinierte nicht nur das Ansehen des Departments, sondern legte sich wie ein dunkler Schatten über die Menschen der Gemeinde: Glaubten die Bewohner zunächst an eine blutige Fehde aus dem Drogenmilieu, begannen sie mit ausbleibendem Ermittlungserfolg einander der grausigen Tat zu verdächtigen. Tiefes Misstrauen befiel die Menschen im ganzen County - eine Depression, von der sich die Einwohner bis heute nicht erholt haben. Auch Rhoda verfiel nach den blutigen Ereignissen in Trübsinn und begann zu trinken: "Als der Kleine Heath Wynne in jener Nacht in ihren Armen gestorben war, war auch ein Stück von ihr gestorben. Ihre Träume von einer Familie, ihre Ehe, alles, was Ähnlichkeiten mit einem normalen Leben hatte - vorbei.".

Mittlerweile ist Rhoda mit ihren dreizehn Dienstjahren Veteranin des Departments und gilt auch den Bewohnern des Countys als tüchtigster Deputy. Eine stabile Beziehung allerdings unterhält sie allein zu ihrem vierjährigen Labrador Cody. Als wieder einmal der Jahrestag des Massakers im Canyon kurz bevorsteht, überschlagen sich die Ereignisse: Nahe Signal Port wird eine tote Frau an Land gespült, die Tage zuvor stundenlang mit einer Autopanne am Highway 1 gestanden hatte, ohne dass ihr jemand geholfen hätte. Auch Rho war die junge Frau am Highway aufgefallen, hatte jedoch nicht angehalten, weil sie auf einen Funkruf reagieren musste. Hätte sie den Tod der Unbekannten verhindern können?

Die Wasserleiche ist Swifts erster Mordfall seit dem Massaker und bringt finstere Erinnerungen hoch. Doch nicht nur Rhoda wird mit der Vergangenheit konfrontiert: Der Mordfall droht zu einer Zerreißprobe für alle Bewohner in Signal Port zu werden, die wegen der latenten Verdächtigungen und dem näherrückenden 13. Jahrestages des Massenmordes langsam durchzudrehen scheinen. Als sich schließlich der New Yorker Bestsellerautor Guy Newberry, der an einer erfolgreichen Sachbuchreihe über "geplagte Orte" arbeitet, zu Recherchen über die Canyon-Morde in Signal Port niederlässt, kommt es zu handfesten Auseinandersetzungen. Nur Rhoda scheint entschlossen, dem Autor zu helfen und sich nach langen Jahren den Albträumen zu stellen.

Marcia Muller, wenn Sie so wollen die Urmutter der zeitgenössischen amerikanischen Krimiautorinnen, ist gewiss eine der besten Handwerkerinnen ihrer Zunft. Auch ihr jüngstes Werk »Dunkle Schatten« belegt ihren unangefochtenen Status. Es hat Niveau, wie unaufgeregt und einprägsam Muller ihren Schauplatz vorführt, der sich nicht von seinen Schrecken hat befreien können. Muller benennt es nicht, sondern sie zeigt es - löst es auf in Handlung und in Dialoge. Ein wohltuendes Kontrastprogramm ist ihre Figur Rhoda Swift - nicht nur zu den abgekochten Cops aus zumeist männlicher Feder, auch zu den uniformierten Sozialarbeiterinnen aus vorwiegend weiblicher Hand. An ihrer zweiten Hauptfigur, dem Journalisten Guy Newberry, hätte Marcia Muller noch feilen müssen: mehr Tiefe in Wort und Tat, und sie kann auf die Schuldgefühle verzichten, die sie - arg bemüht - ihrem Charakter andichtet.

* * *

Ehrensache Etwas länger im Geschäft als Marcia Muller ist Robert B. Parker, der seine Stammfigur, den Privatdetektiv Spenser aus Boston, in etwa dreißig Romanen verewigte. Seine neue Hauptfigur ist Sonya Joan Randall, kurz "Sunny" genannt. Die junge Dame lebt mit mit ihrem Bullterrier Rosie ebenfalls in Boston, ist studierte Sozialarbeiterin und hegt den Traum, Malerin zu werden. Bis sie vom Verkauf ihrer Gemälde leben kann, ist es allerdings noch ein weiter Weg. Sieben Jahre hatte sie sich ihren Lebensunterhalt als Polizistin verdient - naheliegend, da Großvater, Vater und zwei Onkel den gleichen Beruf ausgeübt hatten. Schließlich erwarb sich Sunny eine Lizenz als Privatdetektivin und harrt seitdem der Aufträge.

Ihr erster Fall macht sie bekannt mit den finsteren Seiten der Bostoner High Society: Brock Patton - "groß, faltig, reich und interessiert" - ist Vorstandsvorsitzender einer Bank und hegt Ambitionen auf den Gouverneursposten von Massachusetts. Patton und seine Frau Betty - "arrogant, makellos, herablassend" - engagieren Sunny, um den Verbleib ihrer Tochter Millicent zu ermitteln. Das Mädchen war bereits vor zehn Tagen weggelaufen, doch das betuchte Elternpaar gibt sich merkwürdig unberührt, als interessiere sie das Schicksal ihrer Tochter nicht - als ließen sie Millicent nur aus Rücksicht vor der pikierten Nachbarschaft suchen.

Den Kontakten ihres Ex-Ehemannes Richie - ein Mafia-Sproß, mit dem sich Sunny nach wie vor regelmäßig trifft - ist es zu verdanken, dass die Privatermittlerin das Mädchem aus gutem Hause schnell ausfindig macht: Die Göre hat sich mit einem finsteren Zuhälter eingelassen. Doch allen Arrangements zum Trotz, die unter Hinweis auf Richies familiären Hintergrund mit den schmierigen Luden erzielt werden können, weigert sich Millie strikt, ins elterliche Heim zurückzukehren, und zieht vorläufig in Sunnys Wohnung ein.

Der Detektivin mit Sozialarbeiter-Ausbildung gelingt es nicht, dem verschlossenen Teen seine Geschichte zu entlocken. Erst als ihr zwei Killer nach dem Leben trachten, erkennt Millie, dass sie nicht nur sich selbst, sondern auch Sunny in Gefahr bringt. Endlich ist sie bereit, ein paar Fragen zu beantworten, und Millies Antworten führen Sunny in ein Komplott aus Lug, Betrug und Mord - und zwingen sie schließlich zu einem Abkommen, das der Gerechtigkeit nicht gerade zur Ehre gereicht.

Robert B. Parker erzählt in seinem ersten Sunny Randall-Roman »Familienehre« eine altmodische Geschichte in modernen Variation. Die Bankiersfamilie Patton schildert er in ihren finsteren Abgründen, wie man es von Hammett, Chandler und Ross MacDonald kennt (über deren Werk Parker promovierte). Doch der Roman erstarrt nicht zum klassischen Zitat, weil er seinen Stoff mit frischen Figuren in Szene setzt. Sunny Randall - schlagfertig, sexy, selbstbewusst, dann wieder zweifelnd und unsicher - oder auch ihr Kumpel Spike, der den Roman mit seiner "Tuntenpower" belebt und mal kräftig zulangt, wenn's angemessen ist.

Das ist intelligent-witzig gemacht. Dennoch beschleicht den Leser das Gefühl, das einem bei der Lektüre vieler zeitgenössischer US-Krimiautoren befällt: Das und - auf die Figuren bezogen - die kennt man schon. Sei's drum: Nicht der ganz große Wurf, aber dennoch sehr ordentlich gemacht.

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Feuerengel Ein anderer Veteran der Kriminalliteratur, der jüngst einen Ausbruch aus seiner etablierten Serie wagte, ist Robert Crais. Sein jetzt auf Deutsch erschienener Roman »Feuerengel« erzählt von Carol Starkey, Bombenexpertin der Polizei von Los Angeles - und bei der Lektüre des Werkes zieht sich einem das Herz zusammen.

Ein Erdbeben der Stärke 3,2 erschüttert in der wackeligen Gegend um Los Angeles ein paar Wände, aber ansonsten niemand. Doch Carol Starkey hatte sich gerade mit ihrem Partner und Liebhaber David "Sugar" Boudreaux über einen Sprengkörper gebeugt, als die Erde zu zittern begann und die Bombe detonierte. Für Boudreaux kommt jede Hilfe zu spät - nach zwei Minuten und vierzig Sekunden verzweifelter Bemühungen gelingt es den Rettungssanitätern schließlich, Starkey ins Leben zurückzuholen.

Nach ihrer langwierigen Genesung wird Starkey von Bombenräum-Kommando abgezogen und der Einheit CCS zugeteilt, die bei Sprengstoffanschlägen die Ermittlungsarbeit leistet. Aber Starkey ist lädiert, äußerlich wie innerlich: Der Körper ist von Narben übersäht, es fehlt ein Teil einer Brust. Sie konsumiert Unmengen Gin, Tagamet und Zigaretten, ist kaum gesellschaftsfähig und flieht in die Isolation:

"Starkey liebte die Einsamkeit, die vieles einfacher machte. Niemand mischte sich ein, niemand bohrte seine Blicke in ihren Rücken und dachte sich, dass sie die Bombentechnikerin war, die in die Luft geflogen und hinterher wieder zusammengeflickt worden war wie Frankensteins Monster, die Frau, die ihren Partner verloren und überlebt hatte und doch gestorben war. (...) Einsamkeit war der Bann, der ihr Freiheit verlieh.".

Beklemmende Erinnerungen kommen hoch, als Starkeys Kollege Charlie Riggio bei dem Versuch getötet wird, eine Bombe zu entschärfen. Der Sprengsatz wurde von einer Fernsteuerung zur Detonation gebracht, der Täter muss sich in unmittelbarer Nähe des Ortes aufgehalten haben.

Wenig erbaut zeigt sich Detective Starkey über die Unterstützung, die ihr das ATF durch den Agenten John Pell zukommen lassen will. Ihr schwanen die üblichen Kompetenzrangeleien. Doch Pell hält sich erstaunlich weit im Hintergrund und füttert die Ermittlerin mit geheimen Material: Demnach ist die Signatur der Bombe, die Charlie Riggio in L.A. tötete, identisch mit denen, die bei mehreren Anschlägen in anderen Städten der USA gesichert werden konnten. Opfer dieser Anschläge waren immer Bombentechniker - die besten ihrer Einheit.

Ein unstimmiges Detail knabbert an Starkeys Neuronen, aber die Erkenntnis will sich nicht einstellen. Dann stößt sie auf ein winziges Indiz, das den Ermittlungen eine neue Wendung geben könnte, aber niemand will dem Bedeutung beimessen - schon gar nicht ATF- Mann Pell, der von seiner Serientäter-Theorie besessen zu sein scheint. Einen merkwürdigen Verbündeten findet Starkey schließlich via Internet: ein psychopathischer Sprengstofffreak namens »Mr. Red«, der Starkey mit kryptischen Nachrichten bedient.

Durchaus - »Feuerengel« ist kommerzieller als Robert Crais' Romane um den Privatdetektiven Elvis Cole - eher auf thrill angelegt und auf einen überraschenden Schluss geplottet. Crais goes Deaver, möchte man meinen. Aber das Buch mag man überhaupt nicht mehr aus der Hand legen, denn Robert Crais' Darstellung einer Polizistin, die nach ihrem Tod versucht, sich wieder im Leben zurechtzufinden, geht unter die Haut. Das Terrain ist heikel, und Crais beherrscht es mit Bravour - von Sentimentalität, gar Kitsch, keine Spur. Seine Hauptfigur findet ihr notwendiges Korrektiv: in der Kollegin (und Intimfeindin) Beth Marzik etwa, die im Dienst ihr Einkommen mit dem Verkauf von Amway-Produkten aufbessert, um mit den beiden Kindern über die Runden zu kommen, denn wegen der Protektion, die Starkey seit dem Big Bang genießt, hat sie kaum Aussichten auf Beförderung und besseres Gehalt.

Lese-Ereignis pur - fast pur. Denn es findet sich ein knappes Dutzend kleiner Passagen - jeweils ein, zwei Sätzchen nur -, die überhaupt keinen Sinn machen oder zu dem, was vorher ausgeführt wurde, im krassen Widerspruch stehen. Ob das auf die Kappe des Übersetzers oder des Lektorats gehen, sei mal dahingestellt. Dass aber die braven Menschen im Goldmann-Verlag in Cover- und Umschlagtexten immer den Schluss verraten müssen, ist wirklich gräuslich.

 

© j.c.schmidt, 2002

 

Marcia Muller: Dunkle Schatten. (Point Deception, 2001). Roman. Aus dem Amerikanischen von Cornelia Holfelder-von der Tann. Berlin: Argon, 2002, 380 S., 18.90 Euro (D)

Robert B. Parker: Ehrensache. (Family Honor, 1999). Roman. Aus dem Amerikanischen von Tatjana Kruse. Deutsche Erstausgabe. München: Ullstein Taschenbuch Verlag, 2002, 288 S., 7.95 Euro (D)

Robert Crais: Feuerengel. (Demolition Angel, 2000). Roman. Aus dem Amerikanischen von Udo und Esther Breger. Deutsche Erstausgabe. München: Goldmann Taschenbuch Verlag, 2002, 400 S., 9.90 Euro (D)

 

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