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Ein diszipliniertes Leben in der Mitte der Gesellschaft

Zu den Romanen Bill Pronzinis

 

Produktivität ist im Literaturbetrieb immer mit dem faden Geschmack der Anrüchigkeit behaftet, sie scheint geradewegs im Widerspruch zu Qualität zu stehen. Eigentümlicherweise "verzeiht" das Feuilleton ausnehmend produktiven Künstlern immer dann, wenn sie sich in unterschiedlichen Bereichen betätigen, aber einen Schriftsteller, der ungemein produktiv schriftstellert und nur schriftstellert, fasst man - wenn überhaupt - lieber mit Gummihandschuhen an. In der Kriminalliteratur ist die Tendenz vielleicht noch gravierender: Krimi-Autoren, deren Produktionszyklen etwa denen eines Jerry-Cotton-Hefts nahe kommen, können sich nur auf entsprechendem Niveau bewegen. Deshalb schaut man besser nicht hin.

Dabei kann einem Gewichtiges durch die Finger gleiten: Georges Simenon kommt einem natürlich in den Sinn, der - trotz seiner unglaublichen Produktivität von etwa vierhundert Romanen - Literatur von Weltrang verfasste. Die Pulp-Ikone Jim Thompson soll in gerade mal achtzehn Monaten zwölf Romane in die Tasten seiner klapprigen Schreibmaschine gehauen haben - heute gelten seine Werke als Klassiker der Noir-Literatur und besitzen einen unangefochtenen Platz in der US-Literaturgeschichte. Auch Ed McBain, mit seinen 76 Lebensjahren nach wie vor ein sehr fleißiger Schreiber, hat eine derartige Flut an Kriminalromanen und -stories publiziert, dass eine Chronik seines Schaffens jedem Bibliographen den Angstschweiß in die Stirn treibt. Nachlässig hingeschmierte Trivialliteratur zum flinken Abverkauf? Wohl kaum - McBain wurde schon als heißer Anwärter auf den Pulitzerpreis gehandelt.

Vielleicht liegt es an seiner hohen Produktivität, dass auch der kalifornische Autor Bill Pronzini in Deutschland nur schwer zu platzieren ist. Pronzini, Jahrgang 1943, hat bis heute etwa sechzig Romane verfasst, darunter Western, Science Fiction und andere Genreliteratur, hauptsächlich aber Kriminalromane. Bekannt wurde er in den frühen Siebzigern mit seiner Serie um einen Privatdetektiv, der eigentümlicherweise auch nach zwei Dutzend Romanauftritten noch keinen Namen hatte, sondern schlicht als "Nameless Detective" in die Geschichte des Genres einging. Gut zwei Jahrzehnte hat sich nahezu jeder deutsche Verlag mit relevanter Krimiproduktion an seinen Büchern versucht - eine verlegerische Heimat hat Pronzini hier freilich nie gefunden. 1992 wurde es in Deutschland wieder still um ihn (bis auf zwei Sonderauflagen, die wohl zum größten Teil in den Ramschkisten der Warenhäuser gelandet sind). Pronzini hatte das Schicksal seines Serienhelden ereilt - auf dem deutschen Krimimarkt war er wieder in der Namenslosigkeit versunken.

Seit letztem Jahr versucht sich nun der Fischer Taschenbuch Verlag an Bill Pronzinis Werk und hat binnen kurzem gleich fünf seiner Romane auf den Markt gebracht. Hilfreich bei dem Deal mag gewesen sein, dass Fischer seit Jahren die etablierten Kriminalromane von Marcia Muller verlegt - die Autorin ist Pronzinis Ehefrau. Erfreulicherweise recycelt das Frankfurter Verlagshaus nicht altes Pronzini-Material, sondern beglückt den Leser mit recht frischen Büchern: Die Originalausgaben sind zwischen 1995 und 2002 erschienen.

Pronzinis Bücher verweigern sich der flinken Einordnung: Natürlich, die Romane gehören ins Genre der Kriminalliteratur, aber es fehlen einige der klassischen Zutaten: Weder Cops noch Privatdetektive bekleiden tragende Rollen - professionelle Ermittler tauchen meist nur am äußersten Rand der Geschichten auf (nur in »Tödliche Fremde« hat ein Polizist eine wichtigere Funktion, allerdings neben einem knappen Dutzend gleichrangiger Charaktere). Auch sind Pronzinis Hauptfiguren keine passionierten Amateurdetektive, sondern stinknormale citizens.

Entsprechend gestaltet Pronzini seine Romane nicht als "Mordrätsel". Es geht primär nicht um die Aufklärung eines Falles, sondern um die Lösung eines Problems: Pronzini konfrontiert seine Figuren mit Stalkern, mit psychopathischen Racheengeln oder mit Betrügern. So kulminiert die Handlung in Mord, aber die Bluttat ist nicht das auslösende Moment wie in den meisten Werken des Genres. Jeder Roman wartet mit einer überraschenden Lösung auf, doch viel wichtiger als das "Whodunit" sind in Pronzinis Romanen die Verwicklungen, die zu einem Verbrechen führen oder sich daraus ergeben.

Die typische Pronzini-Hauptfigur ist ein weißer Mann im (meist) gesetzteren Alter. Er entstammt der oberen Mittelschicht, ist von Beruf Architekt, Weinhändler oder Wirtschaftsprüfer, er genießt eine ökonomisch ungefährdete Existenz und pflegt einen gehobenen Lebensstil. Pronzinis Figuren sind, wie Architekten oder erfolgreiche Handelsvertreter eben sind: Kultiviert, aber nicht intellektuell, höflich, aber nicht aufdringlich, ein bißchen altmodisch, ein bißchen spießig gar. Nette Nachbarn, durchaus, aber der ausgelassenen Stimmung auf der Grillparty tut's gewiss keinen Abbruch, wenn sie der Einladung nicht folgen. "Er führte ein ruhiges, gewaltloses, diszipliniertes Leben", heißt es exemplarisch in »Blauer Skorpion«. Man sieht: Pronzinis Romane führen in die Mitte der Gesellschaft - dahin, wo sich Leistung lohnt, und bürgerliche Politiker wohl das Rückgrat einer zivilisierten und prosperierenden Gemeinschaft ausmachen würden. Aber was Pronzini in der gehobenen Mitte der Gesellschaft ortet, ist eher die unterträgliche Leere des Seins.

Die typische Pronzini-Hauptfigur ist eine lädierte Figur: Cam Gallagher trägt nach wie vor schwer an den Erinnerungen und Albträumen eines Familiendramas, bei dem vor 25 Jahren seine Eltern ums Leben kamen. Mit seiner tatsächlichen Schuld mag sich Gallagher nicht auseinandersetzen. Doch Pronzini ist gnadenlos und lässt ihn nicht vom Haken: Ein Psychopath meint in ihm jenen Mann wiederzuerkennen, der seine Frau bei einem Unfall mit Fahrerflucht lebensgefährlich verletzte. Gallagher muss sich nun mit einer Schuld auseinandersetzen, für die er tatsächlich nichts kann (»SchattenNächte«).

Durch den Selbstmord einer Zufallsbekannten erkennt Jim Messenger in »Blauer Skorpion« die Substanzlosigkeit seines Lebens. Er verlässt seinen angestammten Platz in San Francisco und mutiert in einem Kaff in Nevada "vom Wirtschaftsberater mit weißem Kragen zum Hilfsarbeiter mit blauem Kragen". Messenger, der sich in seinem alten Leben nur in der Liebe zur Jazzmusik als Mensch entfalten konnte, wird zu einer echten Wüstenratte und fühlt sich in seiner neuen Rolle sichtbar wohler. Nicht unähnlich Matthew Cape, erfolgreicher Handelsvertreter aus Rockford, Illinois: Cape ist sich selbst so weit abhanden gekommen, dass er über Nacht Ehe und Karriere über Bord wirft. Er macht sich auf einen langen Weg durch die USA, den schließlich ein Betrüger-Pärchen kreuzt. Zum ersten Mal tut Cape etwas, weil er es für richtig hält. Für seine Wandlung erntet er zunächst nur Misstrauen, dann wird's für ihn gar brandgefährlich (»Schlechte Karten«).

Auch der erfolgreiche Architekt Jack Hollis ruht nur äußerlich in sich selbst: Als sich sein ehemaliger Schwiegersohn als Fiesling miesester Sorte entpuppt und Hollis' Tochter und Enkelkind bedroht, fühlt sich der Patriarch herausgefordert. Sein fataler Aktionismus kann aber kaum verbergen, dass es dem Mann nie gelungen ist, sich selbst zu definieren - unabhängig vom harten, männlichen Pioniergeist, den ihm sein Vater und sein Großvater einzuhauchen versuchten (»Dunkler Morgen«).

Jack Hollis ist nicht nur psychisch angeknackst, sondern auch physisch lädiert: Er leidet an Prostatakrebs. Damit ist er im gewissen Sinne der Prototyp der Pronzini-Figuren, denn lebensbedrohliche Erkrankungen sind seit der "Nameless Detective"-Reihe ein anderes häufig wiederkehrendes Motiv in den Büchern: Erst wenn der Sensenmann an die Tür klopft, beginnen die Figuren, in der Rumpelkammer ihres Lebens aufzuräumen. Und wie wohl keine andere Krankheit sonst, berührt Hollis' Prostatakrebs seine Selbstdefinition als Mann.

Pronzinis glasklar strukturierte Romane sind hochspannende Charakterstudien: Die Krimihandlung dient als Versuchsanordnung, in der der Autor mit kühlem Blick erforscht, wie sich seine Figuren entfalten. Wie keine andere Gattung sonst ist die Kriminalliteratur geprägt von der Ästhetik des Films - Pronzinis Erzählweise hingegen ist sehr inszeniert und erinnert stellenweise mehr ans Theater. Dazu passt eben auch, dass sich Pronzini ausgiebig stereotyper Charaktere, Settings und Plots bedient. Das mag klischeehaft erscheinen, dient aber der klaren Inszenierung des Stoffes. Typisierung ist ein Moment seines ästhetischen Verfahrens - mit dem Resultat, dass Pronzinis Kriminalromane eigentümlich abstrakt wirken.

Ob sich Bill Pronzini nun in einem neuen Anlauf am deutschen Krimimarkt etablieren wird? Zu hoffen wär's, aber Optimismus mag man nicht verbreiten. Autoren mit Substanz versinken schnell in der unbeschwerten Sinnlosigkeit, die das Genre in den letzten Jahren prägt. So ist es bei einigen Schreibern nicht nur der hohen Produktivität geschuldet, wenn sie sich nicht durchsetzen: Fürs fröhliche Strandkorb-Marketing der Verlage sind sie zu gewichtig - das Feuilleton bildet dazu keinen Gegenpol, sondern straft sie mit Missachtung.

 

Bill Pronzini: SchattenNächte. (Nothing but the Night, 1999). Roman. Aus dem Amerikanischen von Irmengard Gabler. Deutsche Erstausgabe. Frankfurt/M: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003, 347 S., 7.90 Euro.

Ders.: Blauer Skorpion. (Blue Lonesome, 1995). Roman. Aus dem Amerikanischen von Maria Czedik-Eysenberg. Deutsche Erstausgabe. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003, 320 S., 7.90 Euro.

Ders.: Schlechte Karten. (Step to the Graveyard, 2002). Roman. Aus dem Amerikanischen von Gisela Podlech. Deutsche Erstausgabe. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003, 238 S., 8.90 Euro

Ders.: Dunkler Morgen. (In an Evil Time, 2001). Roman. Aus dem Amerikanischen von Irmengard Gabler. Deutsche Erstausgabe. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003, 320 S., 7.90 Euro.

Ders.: Tödliche Fremde. (A Wasteland of Strangers, 1997). Roman. Aus dem Amerikanischen von Cornelia Holfelder-von der Tann. Deutsche Erstausgabe. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003, 414 S., 8.90 Euro.

 

© j.c.schmidt, 2004

 

Eine Bibliographie und ein paar weitere Infos zum Autor finden Sie auf unserer
Bill Pronzini-Seite
in den Autoren-Infos.

 

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