legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Doyle war nur Watsons Literaturagent

Pieke Biermann über »Sherlock Holmes - Die unauthorisierte Biographie« von Nick Rennison

 

Sherlock Holmes Alles hat Arthur Conan Doyle versucht, um Sherlock Holmes loszuwerden. Er hetzt ihm eine intelligente - horribile dictu! - Frau auf den Hals. Er lässt ihn mitsamt seinem Erzfeind Professor Moriarty, das fleischgewordene Böse in die Reichenbach-Fälle stürzen. Allein, es nützt nichts. Der "einzige beratende Detektiv der Welt", der seit 1878 von der Londoner Baker Street No.221b aus andere, nämlich Kriminalfälle löst, ist unsterblich. Spätestens seit 1881 der gelernte Arzt Dr. Watson ihm zur Seite tritt: Als Katalysator, dessen eigene viktorianische Biederkeit den kokainsüchtigen Ästheten mit dem glasklaren, kalten Verstand erst richtig glänzen lässt, und als Propagandist, dessen Notizen den Ruhm des Meisters in alle Welt verbreiten. Holmes muss weiterleben!

Leben? Holmes? War das nicht bloß eine literarische Erfindung des gelernten Arztes Arthur Conan Doyle aus Edinburgh?

Weit gefehlt, mutmaßen Sherlockianer von jeher und weist uns jetzt Nick Rennison, Buchhändler und Verfasser zahlreicher literarischer Stadtführer, in seiner - zugegeben unauthorisierten - Biographie des Meisters plausibel nach: Doyle war bloß Watsons Literaturagent, Holmes dagegen Spross einer uralten Familie, die es durch alle bekannten Fährnisse des Empires in den Stand des mittleren Landadels mit Sitz in Yorkshire geschafft hat. Dort bei den Sümpfen im Nordwesten der Insel wird Sherlock am 17.Juni 1854 geboren, sieben Jahre nach Bruder Mycroft, der es dank vorzüglichem Oxford-Abschluss zum praktisch unkündbaren Faktotum allerhöchster Regierungskreise bringen wird. Die Oma väterlicherseits ist Französin, die Mutter Vikarstochter, der Vater ein verschrobener Hobbygelehrter mit einer Bibliothek voller Pitavals. Sherlock ist Einzelgänger mit frühem Hang zu Arroganz und Misogynie, der sein Studium in Cambridge mit einem Intermezzo an einem Londoner Theater würzt, Boxen und Fechten liebt und seine Geige mit derselben Eigenwilligkeit bearbeitet wie seine wissenschaftlichen Versuchsreihen.

Diese Biographie hat alles, was wir an Old Britannia lieben. Das Spleenige und Exzentrische, diesen heiligen Ernst, der ganz leichtfüßig dahertänzelt. Mr. Rennison ist ein überaus vertrauter Kenner des Holmes'schen ‘uvres, der elegant fiktive mit historischen Fakten verspinnt, schlüssig die schmerzhaften Lücken und Widersprüche füllt beziehungsweise aufklärt und - mal im naiv-gemütlichen Stil des Famulus Watson, mal mit der hochmütigen Grandezza von Holmes himself - Seitenhiebe auf Schnitzer anderer Sherlockianer (zum Beispiel Watson und Doyle) verteilt. Besonders amüsant zum Beispiel da, wo er in Sachen "Jack the Ripper" Sherlockianer und Ripperologen gegeneinander auffährt.

Und nebenbei und tongue-in-cheek-mäßig, eben britisch-ironisch erklärt er uns, warum Holmes weder hetero- noch homo-, sondern kalkuliert asexuell war und dass Kriminalliteratur ein Kind der Großstadt ist. Allen Landhaus-Krimis und selbst der Deerstalker-Mütze zum Trotz, die Holmes nämlich in Wahrheit nur trug, wenn er einen ländlich-unsittlichen Fall zu knacken hatte.

Gestorben ist Holmes selbstverständlich dann doch: am 23. Juni 1929 in Sussex. Ohne sein Opus Magnum, "Die Kunst der detektivischen Ermittlung", vollendet zu haben. So bleiben uns nur 56 Kurzgeschichten und vier Romane, die zwischen 1887 und 1927 erschienen. Dreisterweise nennen die alle als Autor Arthur Conan Doyle!

 

Nick Rennison: Sherlock Holmes. (Sherlock Holmes: The Unauthorized Biography, 2005). Die unautorisierte Biographie. Aus dem Englischen von Frank Rainer Scheck und Erik Hauser. Deutsche Erstausgabe. Düsseldorf: Artemis und Winkler, gebunden, 279 S., 19.90 Euro (D)

 

© Pieke Biermann, 2007
(Deutschlandradio, 02.03.2007)

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen