kaliber .38 - krimis im internet

 

Krimi-(Vor-)Auslese 12/2019

 

Der Ermittler Neues von Lee Child zu vermelden ist nach knapp zwei Dutzend Romanen um den ehemaligen Militärpolizisten Jack Reacher, die seit 1997 im regelmäßigen Jahres-Rhythmus erscheinen, nicht wirklich sensationell. Childs enigmatischer Held, mehr "Problemlöser" als klassischer Ermittler, agiert meist in den dünn besiedelten Gebieten der USA, in den ländlichen Käffern, in denen die Army ihre weitläufigen Stützpunkte unterhält. Bemerkenswert am neuen Roman Der Ermittler (Blanvalet, aus dem Englischen von Wulf Bergner) sind der Schauplatz und die Zeit der Handlung - der Roman spielt weitenteils in der deutschen Stadt Hamburg im Jahre 1996, also zu der Zeit, als Reacher noch aktiv im Militärdienst war. »Der Ermittler« erzählt von islamistischen Terroristen (wir sind noch weit vor Nine-Eleven, aber in Hamburg!), amerikanischen Verrätern und Deutschen Alt- und Neu-Nazis - eine Melange, auf der man schnell ins Rutschen geraten kann. So hat das Buch auch überall da, wo Leser ihre Kommentare hinterlassen, soviel Prügel einstecken müssen, dass es schon wieder zur Lektüre reizt.
      Vielversprechender als »Der Ermittler« ist ein etwa hundertseitiger Essay von Lee Child, der fast zeitgleich erschienen ist: Der Held (auch Blanvalet, ebenfalls übersetzt von Wulf Bergner). Dass der Band kein Kompendium für Jack-Reacher-Fans ist, verdeutlicht der Untertitel: "Wie Helden die Welt verändern, und warum wir sie heute mehr als je zuvor brauchen". Von Achilles bis James Bond, von der Griechischen Tragödie über Shakespeare bis zur Gegenwart analysiert Lee Child literarische Helden und zeigt, wie Helden-Epen und -Geschichten unsere Welt geprägt haben. Das verspricht spannende Lektüre für alle, die sich für (Kriminal-) Literatur interessieren.

 

Eiskalte Hölle Was gibt's noch? Einen Debüt-Thriller aus Italien von Ilaria Tuti, der in einem entlegenen Bergdorf hoch im Norden spielt. Das Buch heisst im Original »Fiori sopra l'inferno« (etwa: Blumen über der Hölle) und hat vom Penguin-Verlag den, naja, nicht so gelungenen Titel Eiskalte Hölle verpasst bekommen, der arg nach Island- oder Skandinavien-Thriller klingt. Tuti erzählt von einem Mordopfer, das mit bloßen Händen ums Leben gebracht und verunstaltet wurde, von einem Ort voller Geheimnisse, die um keinen Preis nach außen dringen dürfen - und von einer Hauptfigur, die nicht nur mit einem unheimlichen Gegner mit scheinbar mythischen Fähigkeiten kämpft, sondern auch mit den eigenen Dämonen. In Rückblenden führt das Buch zurück in die späten Siebziger Jahre, zu einem Waisenhaus, in dem die Kinder unter grausamen Bedingungen verwahrt wurden. So erschliesst sich dem Leser schnell, aus welchen Teilen die Story ihre Energie bezieht, aber nicht, wie diese miteinander verbunden sind.

 

Zeit der Mörder Ebenfalls auf unterschiedlichen Zeitebenen (und an unterschiedlichen Orten) spielt Zeit der Mörder, ein Historischer Krimi von Ulf Torreck (Heyne-TB). Los geht's mit einem Mordfall in einem kleinen irischen Dorf im Oktober 1947, wo der Maler Claas Straatmann einen Fremden erschießt, der in sein Atelier eingebrochen ist. Im Laufe der Ermittlungen stellt sich heraus, dass der Maler Straatmann eigentlich eine andere Identität besitzt, unter der er in Paris zur Zeit der Deutschen Besatzung beauftragt war, einen berüchtigen Serienkiller zu jagen. "Die Toten waren tot. Das war sicher. Aber manche Toten hatten die Eigenheit, als Gespenster wiederzukehren.", heissen die ersten Sätze unter der Kapitelüberschrift "Die guten Mörder". Vorangestellt sind gleich vier Zitate von Bertolt Brecht (1938), Ernst Jünger (1943), Paul Celan (1944/45) und Ingeborg Bachmann (1953) und eine elegenat formulierte Warnung des Verfassers, dass nichts wahr sei in dem Buche, außer eben der Dinge, die er erfunden habe. Das macht doch wirklich Lust, weiterzulesen!

 

Eiskalte Hölle Dann noch Max Mannings Thriller Böse Opfer (HarperCollins, Deutsch von Joannis Stefanidis), der mit einer schönen Konstellation aufwartet: Eine Frau wird spätnachts auf einem Parkplatz angegriffen und überwältigt. Sollte sie sich fügen, verspricht ihr Angreifer, sie zu verschonen. Plötzlich bietet sich eine unerwartete Gelegenheit zum Gegenangriff, und sie muss sich entscheiden: will sie Kämpferin oder Opfer sein? Nun entscheidet sich Manning nicht für einen Weg, sondern er entwickelt beide möglichen Handlungsstränge in seinem Thriller - in einem Strang fügt sich das Opfer, in dem anderen begehrt es gegen den Aggressor auf. Interessante Strategie - ob die wohl aufgeht?

 

Zeit der Mörder Und schließlich Neues von der Australierin Candice Fox: "Gone by Midnight" heisst ihr Thriller im Original, den der Suhrkamp Verlag unter dem schönen deutschen Titel Missing Boy vertreibt (übersetzt von Andrea O'Brien). »Missing Boy« ist der dritte Band um den ehemaligen Polizisten Ted Conkaffey, der vor zwei Jahren fälschlicherweise einer Entführung beschuldigt wurde, Karriere und Familie verlor und sich ins nordaustralische Crimson Lake zurückzog, wo er mit seiner Partnerin Amanda Pharrell als Privatdetektiv arbeitet. Im neuen (und letzten?) Fall beschäftigen sich die beiden mit einem achtjährigen Jungen, der aus einem Zimmer im fünften Stock eines Hotels spurlos verschwunden ist, das er - so belegen es die Überwachungskameras - aber nie verlassen hat. Klingt nach klassischer Locked-Room-Konstellation mit lädiertem, lebensechtem Personal - das nehmen wir gerne mit!

 

Viele weitere Anregungen finden Sie in den Neuerscheinungen Dezember 2019.

 

© j.c.schmidt, 2019

 

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