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Krimi-Auslese 04/2002

 

Hinterhalt Auch Gangster haben's nicht leicht, wie der jüngst erschienene Roman »Hinterhalt« des Australiers Garry Disher belegt. Dishers Serienfigur Wyatt steht mächtig unter Druck: Mit mehreren missratenen Coups hat Wyatt "für Stimmung in der Unterwelt gesorgt" und flieht nun mit "einige(n) Leichen im Schlepptau" vor der Sydney Bande, die einen Kopfpreis auf ihn ausgesetzt hat. Und den Cops. Ein Job muss her, doch der geht - wieder einmal - gründlich in die Hose: Der Einbruch in eine Scheune, in der Konkursware verramscht wird, endet in einer mordsmäßigen Ballerei. Wyatt muss von vorne beginnen - "zweihundert Dollar, ein paar Dietriche und an Kleidung nur das, was er am Leibe" trägt, ist all seine Habe.

Der zwielichtige Privatdetektiv Macarthur Stolle, in seiner Freizeit einem professionellem Hit nicht abgeneigt, übermittelt Wyatt schließlich ein Angebot, das dieser in seiner Not kaum ausschlagen kann. 5000 Dollar winken als Vorschuss, so Stolles Offerte, wenn er nach Brisbane reist - zu Anna Reid, die Wyatt "vor einigen Monaten in Melbourne die Suppe versalzen" hatte. Anna Reid hat einen Plan, für deren Ausführung sie einen Profi braucht: Zwecks Überprüfung ihrer Sicherheitseinrichtungen muss die kleine TrustBank in Logan City zwei Ihrer Fillialen für ein verlängertes Wochenende schließen und alle beweglichen Werte in einer dritten Niederlassung bunkern. Alles in allem ungefähr zwei Millionen australische Dollar. Cash, versteht sich. Ein Kinderspiel für einen Experten in Sachen bewaffneter Raubüberfall, sollte man meinen.

Doch sind Wyatt und Anna nicht die einzigen, die es auf die kräftige Geldspritze abgesehen haben. Danny Nurse etwa, den Leiter einer der TrustBank-Filialen, drücken Spielschulden. Die arbeitet er ab, indem er an seinen freien Wochenenden für den Heroin-Dealer Ian Lovell den Kurier spielt. Des Bankers Blatt verschlechtert sich dramatisch, als er sich von einer Prostituierten Stoff im Wert von 75.000 Dollar klauen lässt. Damit steckt nicht nur Nurse in der Klemme: Dealer Lovell kann seine Lieferanten in Papua-Neuguinea nicht mehr bezahlen. Außerdem überraschen ihn seine Geschäftspartner mit einer kleinen Wunschliste, auf deren Erfüllung sie brachial insistieren: Sturmgewehre, Raketenwerfer, Boden-Luft-Raketen - genug, um einen beschissenen Krieg anzuzetteln. Andrerseits ein Geschäft, das erfreulichen Profit versprechen könnte. Doch dafür braucht Lovell erst einmal das nötige Startkapital. Zwei Millionen Dollar in einer nur wenig gesicherten Bankfiliale kämen gerade recht.

»Hinterhalt«, Garry Dishers dritter Roman um den Gangster Wyatt, ist wieder ein feines Drama aus der Welt der Gesetzlosen, in der die Cops nicht einmal auftauchen. Disher bietet einen brisanten Mix und verbreitet schon auf den ersten Seiten mehr Handlungsreichtum, mehr Action, Verrat, Lug und Betrug als in den meisten voluminösen Bestsellern des Genres. Seine Sprache ist lakonisch bis unterkühlt ("Riding starb zuerst."), doch er heroisiert seine Figur nicht - Wyatt ist die Hauptfigur der Serie, nicht ihr Held.

Bei Disher hat das Gangstertum nichts Glamouröses, sondern ist Alltagsgeschäft, das sich nach Angebot und Nachfrage richtet. Wyatt, macht seinen Job, und die Konkurrenz ist groß. Wenn gerade Flaute auf dem Markt herrscht, werden wir Zeuge, wie Wyatts Vermögen von zwanzigtausend auf mitleiderregende achtzig Dollar zusammenschrumpft.
Nein, es ist keine schöne Welt, in der nicht einmal Banditen vor Banditen sicher sind.

Garry Disher: Hinterhalt. (Deathdeal, 1993). Ein Wyatt-Roman. Aus dem australischen Englisch von Bettina Seifried. Deutsche Erstausgabe. Berlin: Maas Verlag, 2002 (Pulp Master Bd. 12), 245 S., 11.00 Euro (D)

 

25 Stunden Der Amerikaner David Benioff erzählt die Geschichte eines jungen Mannes aus New York, der noch nicht richtig erwachsen ist, und schon vor den Trümmern seines Lebens steht. »25 Stunden«, so der Titel des eindringlichen Romans, ist eine handlungsarme Präsenserzählung, in der wir Montgomery Brogan an seinem letzten Tag begleiten, bevor Monty für sieben Jahre in den Knast nach Otisville einfahren wird.

Monty trifft sich mit seinem Vater zu einem letzten gemeinsamen Essen, er begegnet noch einmal seinen beiden langjährigen Weggefährten, dem Englischlehrer Jakob Elinsky und dem Investmentbroker Frank Slattery, und schließlich verabschiedet er sich von all seinen Bekannten auf einer Party im Club "Velvet". Die Party hat Uncle Blue geschmissen, für den Monty Drogen vertickte. Ein Hauch des Zweifels steht zwischen Uncle Blue und Monty: Monty selbst wurde an die Cops verraten, ließ sich aber auf keinen Deal ein, der ihm die Haftstrafe erheblich hätte verkürzen können. Doch warum, fragt sich Blue, ließ der Richter Monty bis zum Haftantritt auf freien Fuß?

Es ist nicht das Geld, das Monty interessierte und ins Drogenmilieu brachte. Was den ewigen Außenseiter über die anderen erhebt, ist das "Format", der Glanz der Illegalität - der an diesem Abend freilich endgültig verblasst. "Aus mir hätte ein toller Feuerwehrmann werden können", lautet das bittere Fazit des Parvenus. Doch an diesem kalten Winterabend bilanziert nicht nur Monty, sondern auch sein millionenschwerer Kumpel Frank, der statt Risiko-Fonds zu verschieben lieber ein Redneck wäre, Hippies aufmischte und betrunken im Pick-up-Truck rumfahren würde. Oder auch der verklemmte Englischlehrer Jakob, der sich auf der Party im "Velvet" linkisch einer seiner Schülerinnen zu nähern versucht.

David Benioff, Jahrgang 1970, hat mit seinem ersten Roman »25 Stunden« ein ungewöhnliches Buch geschrieben, das quer zu allen Moden und Attitüden liegt. Sein Stoff kommt in Bruchstücken daher, die wie Treibgut angespült werden und sich zu einem Psychogramm verdichten - zum Portrait eines Mannes, der in absoluter Verachtung aller Konsequenzen einen glanzvollen Aufstieg erlebte, dessen einzig wirklich bedeutsame Tat aber darin lag, einen halb toten Hund gerettet zu haben.

Ein bitterkalter Schneesturm fegt durch die Straßen New Yorks, als Monty Brogan am nächsten Morgen mit seinem Vater einer unbekannten Zukunft entgegenfährt...

David Benioff: 25 Stunden. (The 25th Hour). Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Böhmert. Deutsche Erstausgabe. München: Heyne, 2002, 222 S., 6.95 Euro (D)

 

Auf dünnem Eis Missoula, Montana, kurz vor Weihnachten: Megan Gardner arbeitet als Repo-Frau und holt Fahrzeuge zurück, deren Besitzer mit den Raten in unbotmäßigen Verzug gerieten. Als sie den Cherokee eines alten Piloten abholen will, der mit seinem kleinen Flugunternehmen kurz vor der Pleite steht, fischen Feuerwehr und Polizei gerade die Leiche des Mannes aus dem eiskalten Wasser. Nur Stunden später verhaften die Cops ein indianisches Pärchen und beschuldigen sie, den Flieger erstochen zu haben.

Kaum hat Meg den konfiszierten Cherokee vor ihrer Wohnung abgestellt, bekommt sie es mit einem brutalen Zeitgenossen zu tun: mit Iwan Popov, dem Sohn Nick Popovs, Oberhaupt der russischen Mafia in Missoula. Iwan traktiert Megan mit Schlägen und nimmt ihr einen Koffer ab, der sich in dem Auto des Verstorbenen befand. Kurze Zeit später wird Megan von einer merkwürdig tätowierten, messerschwingenden Frau drangsaliert, die es ebenfalls auf den Koffer abgesehen hat.

Um ihr eigenes Leben zu schützen, stellt Megan eigene Nachforschungen an. Doch ihr Interesse an dem toten Flieger ist nicht nur vitaler Natur: In dem beschuldigten Mädchen glaubt Megan die Tochter einer Indianerin wiederzuerkennen, mit der ihr Vater eine Liebesaffäre hatte - ein amouröses Abenteuer, das Megans Mutter beendete, indem sie dem Vater eine Kugel in den Kopf schoss. Der Mann überlebte schwerverletzt und verbringt seine Jahre mit dämmrigen Gemüt, allein der Pflege der Mutter ausgesetzt.

Megans Lage bekommt eine prekäre Wendung, als sie über die Leiche Iwan Popovs stolpert, dessen Hals von links bis rechts aufgeschlitzt ist - wie ein aus dem Gesicht gerutschtes Lächeln. Nicht nur die Polizei möchte dringend ein paar Antworten von Megan haben, sondern auch Iwans Vater, der Mafia-Mann. Megans Traum einer Idylle mit den kulinarischen und erotischen Verführungen ihres tschechischen Freundes ist arg bedroht. Und wo steckt Amos Ortenson, der bizarre Punk mit eigener Show im Lokalfernsehen, der in einem Trailerpark gleich neben dem Fundort der Leiche wohnt und sich mit der Behauptung vortat, die Cops hätten die Falschen erwischt?

Jenny Siler - die ihr Handwerk u.a. bei James Crumley erlernte, bei dem sie sich im Nachwort artig bedankt - ist eine junge Autorin aus Montana, die man unbedingt im Auge behalten sollte. »Auf dünnem Eis« ist ein ausgeklügelter Roman, gespickt mit ungezählten liebevoll und sorgsam herausgearbeiteten Figuren und Geschichten. Silers Sprache ist in hohem Maß poetisch und macht - im Gegensatz zu vielen deutschen Regionalkrimis - den Schauplatz sinnfällig:

"Ich holte tief Luft und sah Popov ins Gesicht. Er zog eine Packung russische Zigaretten aus seiner Manteltasche und bot mir eine an. Sie waren dick und schwarz mit glänzenden Goldfiltern. Es war eine schöne Nacht, alle Mängel vom frischen Schnee überdeckt. Von der hohen Klippe aus konnten wir die Moiese Hills sehen, die spärlichen Lichter von Round Butte und die leere Ebene des Flatheat-Reservats wie das Stück eines Pfannkuchens, das auf den Boden gefallen ist."

Ein feiner Roman bis hin zum Ende, an dem die Ordnung wieder hergestellt ist - zumindest so, dass Megan damit leben kann. Von Gerechtigkeit natürlich keine Spur. Mit Megan Gardner ist Jenny Siler eine grandiose Hauptfigur geglückt, von der wir gerne mehr erfahren würden. Andererseits ist Siler zu intelligent und hat zuviel künstlerisches Potential, um sich in ein Serienkorsett einschnüren zu lassen.

Bleibt zu hoffen, dass Jenny Siler nicht das gleiche Schicksal widerfährt wie ihrem Lehrmeister - James Crumley ist einfach zu gut, um in Deutschland verlegt zu werden.

Jenny Siler: Auf dünnem Eis. (Iced). Roman. Aus dem Amerikanischen von Doris Styron. Deutsche Erstausgabe. München: Manhattan bei Goldmann, 2002, 320 S., 9.00 Euro (D) (ISBN: 3442541697)

 

Das verschwundene Lächeln Der Engländer Peter Robinson lebt seit langer Zeit in Kanada und schreibt seit fünfzehn Jahren eine feine Reihe um den Yorkshire-Polizisten Chief Inspector Alan Banks und sein Team. Robinsons Romane wurden von der Kritik hoch gelobt und mit diversen Preisen ausgezeichnet. Seltsamerweise erschien die erste deutsche Übersetzung erst im August des vergangenen Jahres. »Wednesday's Child« heißt im Original der zuletzt von Ullstein veröffentlichte Roman aus der Serie, vom Verlag mit dem etwas dünkelhaften Titel »Das verschwundene Lächeln« überschrieben. (1)

Chiefinspector Banks hatte sich von London nach Eastvale versetzen lassen, ein "blühendes englisches Marktstädtchen" in Yorkshire, weil er den Zynismus seiner ausgebrannten Londoner Kollegen nicht mehr ertrug. In Eastvale gibt's vielleicht ein paar "Schattengewächse" der Klasse Tunichtgut, aber keine wirklich kriminelle Unterwelt. Doch der idyllische Schein trügt, und schon bald beginnt Alan Banks kleine Narbe über dem Auge zu jucken - so wie sie es immer tut, wenn etwas nicht stimmt.

Unter dem Vorwand, sie seien von der Fürsorge und wollten das Mädchen auf einen angeblichen Missbrauch hin untersuchen, hat ein Paar die siebenjährige Gemma Scupham aus einer ärmlichen Wohnsiedlung im Osten Eastvales entführt. Der Fall stellt Alan Banks und seine Kollegen vor schwerwiegende Probleme: Da die Mutter von Sozialhilfe lebt, können die Polizisten eine Entführung mit Lösegeldforderung ausschließen. Auch der Vater des Mädchens, seit Jahren verschwunden und bar jeden Interesses an seiner Tochter, kommt als Täter kaum in Betracht. Folgt man der Psychologin Jenny Fuller, die Banks bei den Ermittlungen berät, ist auch ein Sexualdelikt nicht sonderlich wahrscheinlich: Pädophile sind in der Regel Einzelgänger.

Der Juckreiz in Alan Banks kleiner Narbe wird ungleich heftiger, als Spaziergänger in einer alten Römersiedlung auf eine Leiche stoßen. Schon schwant den Polizisten, bei dem Fund handle es sich um die sterblichen Überreste der kleinen Gemma Scupham, doch entpuppt sich der verschüttete Kadaver als junger Mann mit ungewöhnlich kleinen Händen. Zwei kapitale Verbrechen zur gleichen Zeit sind in dem beschaulichen Provinzkaff außerordentlich selten - doch worin könnte die Verbindung liegen zwischen der Entführung des Mädchens aus dem sozial benachteiligten Stadtrand und dem schauerlichen Mord an dem jungen Mann, der als ein kleinkrimineller Taugenichts identifiziert wird?

Peter Robinson schreibt in der Tradition der klassischen Britischen Kriminalliteratur, wie sie bei uns hauptsächlich in der Version US-amerikanischer Autorinnen - Grimes, George, Crombie usw - konsumiert wird. Was Robinson weit über das Niveau der wirklichkeitsfremden Entwürfe seiner Kolleginnen erhebt, ist sein glasklarer Blick für die soziale Realität. "Das Zimmer war ein Saustall, die Frau eine Schlampe", so beginnt der Roman - und das Portrait einer sozial abgedrängten und in ihrer Mutterschaft hoffnungslos überforderten jungen Frau.

Großartig sind Robinsons Dialoge, die man zum Lehrgegenstand in Creative-Writing-Kursen machen sollte.

Peter Robinson: Das verschwundene Lächeln. (Wednesday's Child, 1992). Roman. Aus dem Englischen von Andree Hesse. Deutsche Erstausgabe. München: Ullstein Taschenbuch Verlag, 2002, 448 S., 8.95 Euro (D)

(1) Diese Angabe ist falsch - zwei Alan Banks-Romane waren bereits 1994 bei Rowohlt erschienen, ein Non-Series-Buch 1992 im Heyne-Verlag. Wir bitten um Entschuldigung.

 

© j.c.schmidt, 2002

 

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